Bühnenzauber

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Julian Hesse, ein Loser in Beziehungen, begibt sich auf die innere Reise zu sich selbst. Er lernt, das Universum zu verstehen und findet in der Liebe neue Wege.

Giuliano kapiert einfach nicht, weshalb seine Beziehungen stets im Desaster enden, ihn seine jeweilige Partnerin hintergeht. Ist er denn so langweilig, öde, nichtig? Auf einer Motorradtour erzählt ihm sein bester Freund von dem mystischen Einsiedler Odysseus. Erst skeptisch, besucht Giuliano diesen dann öfters und erfährt von universellen Zusammenhängen. Parallel ist er auf dem Weg, in seine sechste unglückliche Beziehung zu schlittern. Doch das bei Odysseus Erlebte wirkt sich zunehmend auf seine Wahrnehmung aus. So erregt in der Firma auf einmal eine Kollegin seine Aufmerksamkeit, obwohl sie so gar nicht dem Typ entspricht, dem er bisher auf den Leim ging. Gemeinsam kommen die beiden auf eine Gaunerei im Betrieb und sich dabei auch näher. Dank Odysseus sieht es aus, als lernte Giuliano, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Doch dann macht er einen verheerenden Fehler.

Eine anfixende Crossover-Geschichte in einer neuen Mischung aus Liebe, Spannung und spiritueller Weisheit.

 

Inhaltsverzeichnis

Ende und Anfang
Odysseus
Lilianne
Die Pole des Lebens
Nachhall
Leicht und schwer
Aufbruch
Kugeln, Lippen und Augen
Zeitgenössische Fotografie
Gudruns Loft
Nicht nach Plan
Venedig
Odysseus II
Coming-out
Markttag und ein dunkles Geheimnis
Odysseus III
Gudrun mag Diesseits
Leere und Fülle
Müllers Büro
Reise in die Vergangenheit
Heiß und kalt, braun und blond
Shirani aus dem Iran
Angst versus Sehnsucht
Nummer sechs
Erste Spionage
Fischen lernen
Müllers Büro II
Liliannes Geheimnis
Auf der Fährte
Arten der Liebe
Lubrivin
Kein Sinn
Verschwunden
Suche
Der Trip
Tun im Nichttun
Anfang und Ende


Leseprobe

Ende und Anfang

Als ob sie mich mit einem Schmetterlingsnetz gefangen hätte, so dicht waren die Maschen ihres Dufts. Ihre linke Hand lag auf dem Bistrotisch, von ihrem Weinglas kaum entfernt und zwei Handbreit von meiner Rechten, zu der sie schon seit Wochen nicht mehr fand. Nicht nur ihr Duft, sondern - wie schon immer - wirkte auch ihr Äußeres auf mich wie eine eingeschaltete Kochplatte auf den Teekessel, der auf ihr stand. Sie trug ein schwarzes Top unter der bunten Tunika, der es selbst im schummrigen Dämmerlicht des Lokals nicht gelang, ihre Kurven zu verbergen. Jedes Mal spürte ich ein Ziehen im Bauch, wenn sich mein Blick nach rechts wegstahl: Der schwarze Bob, die großen dunklen Augen und die dunkle Tönung ihrer Haut - sie hatte etwas Zigeunerhaftes, Aufreizendes. Diese Augen ... und wie sie leuchteten!

Aber ich wusste, dass sie das nicht für mich taten. Auch nicht für die Band, die auf der kleinen Bühne spielte, eine Vierer-Combo aus Piano, Gitarre, Percussion und einer Frau, die sowohl sang, als auch Saxofon spielte, eine unglaublich sexy Mischung, wie ich fand. Nein, Amandas Augen blitzten immer wieder zu dem Kellner hinüber - unter genügend verhangenem Blick, wie sie wohl annahm. Aber ich merkte es. Wenn nämlich einer Beziehung erst einmal die selbstverständliche gegenseitige Vertrautheit abhandenkommt und sich ihrer statt das Misstrauen einzunisten beginnt, dann hört man das Gras wachsen, wenn es darum geht, was hinter dem Rücken geschehen könnte. Und ich hatte diesbezüglich ohnehin ein feines Gespür, sogar dann, wenn es gar nichts zu spüren gab.

Hie und da kam er herüber zu uns, der widerliche Gigolo mit seinem Grinsen, das zwar ihr und mir in gleicher Weise galt, nur dass es mir in meine Richtung wie eine Farce vorkam. Nein, eigentlich wie ein unverblümter Schlag direkt ins Gesicht! Ob alles in Ordnung wäre - was für eine Frage! - und ob wir noch etwas bräuchten. Vielleicht ein Baguette? Hau ab, dachte ich mir, bevor ich dir eine aufs Maul hau. Aber nach außen grinste ich wie er, denn anmerken wollte ich mir diese Schmach keinesfalls lassen. Manchmal richtete ich ein paar Worte an Amanda, die sie zwar beantwortete, aber so spärlich wie irgend möglich, bis hinunter zu Ja und Nein.

Ich war froh, als der Abend vorüber war, und nicht nur einmal hatte ich mich gefragt, welcher Teufel mich geritten haben mochte, als ich ihrem Vorschlag folgte, das kleine Konzert zu besuchen. Hatte ich gedacht, dass vielleicht alles noch einmal ins Lot käme? Dass noch eine Chance bestünde? Dabei wusste ich doch aus eigener Erfahrung längst, was innere Kündigung bedeutet. Man konnte in so einem Zustand niemanden mehr zurückgewinnen; ich war ja auch schon in der umgekehrten Lage gewesen. Doch wenn solche Überlegungen mich selbst betrafen, war ich blind wie ein Maulwurf. Als Belohnung dafür, dass ich mein Bauchgefühl ausgelacht hatte, das mir mit seinem wohlbekannten Ziehen nichts Gutes verhieß, wusste ich nun nicht nur, dass definitiv etwas im Busch war, sondern auch, wer hinter ihm saß.

 

Zu Hause kam ich auf einen perfiden Gedanken. Es musste doch möglich sein, ihre Mailbox zu hacken, um Gewissheit zu erlangen? Von den sieben Jahren des Beisammenseins wusste ich schließlich, wie sie tickte. Also sollte auch das Passwort herauszufinden sein. Mit Geburtstag oder derlei Scherzen probierte ich es erst gar nicht, denn dass das keine gute Idee war, las man ja allenthalben. Also was tat sie gerne? Sie kochte für ihr Leben gern, was es ihr auch unmöglich machte, wirklich schlank zu sein. Denn was sie kochte, schmeckte ihr selbst ebenfalls. Dafür wiederum gelang es ihr unverschämt gut, eine Figur zu bewahren, bei der, wie man sagt, die Kurven an der richtigen Stelle saßen. Ich bin sicher, dass sie um dieses Geschenk der Gene von vielen Frauen beneidet wurde, denn es wuchs nicht irgendein Körperteil übermäßig in die Gegend, der Hintern oder die Schenkel, sondern Zunehmen war bei ihr, als ob sie eine weitere Haut umlegen würde. Schnell fing ich meine verlangenden Gedanken wieder ein und konzentrierte mich auf mein Vorhaben. Tiramisu? Zu simpel. Pesto? Ebenfalls. Und dann probierte ich es einfach durch. Chennah, Galgant - sie liebte Gewürze - Kurkuma, Habanero, sogar Tellicherry-Pfeffer ließ ich nicht aus. Schon oft hatte ich mich gefragt, wie Leute wie MacGyver, auch noch unter Druck, es zuwege brachten, mit spätestens dem dritten Versuch solche Probleme zu lösen. Und dann - ich konnte es nicht glauben - war ich drin. Mit Couscous.

Meine Euphorie war von kurzer Dauer, etwa so wie das Leben einer Biene, die sich von einer Blüte in einem Anflug von Verwegenheit auf die andere Seite der befahrenen Straße aufmachte. Es wäre besser gewesen, nicht drin zu sein. Denn hier breitete sich in großzügiger Vielfalt meine Befürchtung vor mir aus: Ein munterer und - noch viel ernüchternder - durchaus gegenseitig zugetaner Schriftverkehr zwischen Amanda und Schorsch, dem Kellner des Lokals, das ich eben verlassen hatte. Manchmal verwünschte ich meine Gabe, Dinge zu erahnen. Mit der Verbissenheit, mit der man sich mitunter kratzt, auch wenn es schon blutet, gab ich mir eine Mail nach der anderen. Die älteste davon war drei Monate her. Täglich durchaus auch schon vier bis fünf Mailwechsel. Es war nach Mitternacht, als ich fertig war, die Flasche Rotwein leer und, mangels Nachschub an Wein, der Eierlikör auch. Eine Wirkung allerdings hatte meine Beharrlichkeit gehabt: Meine Übelkeit hatte sich von der psychischen auf die körperliche Ebene verlagert.

 

Ich hätte nur den Arm auszustrecken brauchen, um den Asphalt links unter mir zu berühren, dann richtete sich meine Maschine aus der Spitzkehren-Seitenlage auf und ich beschleunigte, dass es mir die Arme lang zog. Hundertzwanzig Stundenkilometer auf der kurzen Aufwärtsgeraden, dann herunterdrosseln für die nächste Kurve. Kurz danach hatten wir die Passhöhe erreicht. Mein Freund Mike war hinter mir gefahren, nun rollte er vor mir hinab zu der weiten Ebene, die sich irgendwo dort unten erstreckte. Hinab in den Süden, alle hundert Meter wurde es eine Nuance wärmer. Der Wind drückte die Haare auf meinem Unterarm gegen die Wuchsrichtung, was später ein angenehmes Kribbeln bewirken würde, wenn sie sich wieder zurechtrückten.

Es war Sonntag und schon Tage zuvor hatten wir uns für diesen Zweiertrip verabredet. Mike, mein Freund, fuhr eine BMW Adventure, ich eine Triumph Thunderbird, die Maschinen so unterschiedlich wie er und ich. Er durch und durch sehniger Sportler, die Haare nicht einmal bürstenschnittlang, enges Lederdress, ich Genießer mit leichtem Übergewicht, angehenden Geheimratsecken, Jeans, labbrigem T-Shirt und in uralter Abenteuerlederjacke. Seine BMW ein rassiges Abenteuerpferd, meine Thunderbird ein gemütlicher Cruiser. Allerdings mit Pfeffer im Hintern.

Die vergangene Woche war für mich die Hölle gewesen. Am Tag nach der Mailspionage mit dem Rotwein-Eierlikör-Exzess hatte ich mich in meiner Firma krank gemeldet. Die restlichen Tage der Woche hatte ich alle Kraft mobilisiert, um während der Arbeit meine Gedanken im Zaum zu halten. Und doch war es mir nicht gelungen. Auf Fragen aus den besorgten Gesichtern meiner Kolleginnen antwortete ich einsilbig nichtssagend. Zweimal aß ich etwas Warmes, ansonsten knabberte ich höchstens ein paar Erdnüsse, um meinem Magen das Knurren zu versagen. Es war mir egal, wenn andere dachten, ich wäre ein Weichei, ich konnte einfach nicht anders.

Die Maisonne beschien uns nun warm, die Kühle des Berges hatten wir hinter uns gelassen, fuhren rund zwei Stunden durch einsame Täler, es begegneten uns kaum Fahrzeuge, andere Motorräder schon gar nicht. Wir ließen uns einen kleinen Pass hinauftragen, wedelten durch Kurven die enge Straße hinunter, am Fuß durch einen verschlafenen Ort und zogen gegen Mittag einen kleinen Berg hinauf, auf dessen Sattel ich gerne halt machte. Direkt nach einer Kurve hieß es, links in einen kleinen Feldweg einzubiegen. Ich bremste, bog ab, Mike ebenfalls, es waren nur ein paar Meter, und wir stellten unsere Maschinen ab. Helm auf den Rückspiegel, Nierengurt auf den Sattel, strecken, ein Griff in den Seitenkoffer und ich hatte eine Cola und ein paar Brötchen in der Hand, die ich zu Hause hergerichtet hatte. Vor mir fiel das Gelände kurz ab, um dann anzusteigen zu einem Hügel, den wir mit wenigen Schritten bestiegen hatten. Links warteten unsere zwei Reittiere auf ihren Ständern, rechts, zur Straße hin, stand eine kleine Kapelle unter einem großen Nussbaum.

»Und - alles Roger?«, fragte Mike.

Wir hatten noch kaum miteinander gesprochen. Wie auch während des Motorradfahrens. Doch wir kamen auch so oft stundenlang aus, ohne ein Wort zu sagen. Jeder hing seinen Gedanken nach, ich dachte an Amanda, jetzt, wo die Gegend aufgehört hatte, an mir vorbeizuziehen. Woran sonst?

»Na ja«, krächzte ich, räusperte mich, »es geht.«

»Sieht nicht so aus«, sagte er zu den Motorrädern.

»Ich habe nicht gut gesagt.«

»Okay.«

Wir schwiegen, ich aß mein Brot, Mike biss abwechselnd in einen Landjäger und ein Stück Weißbrot, das er in großen Flocken aus dem Laib riss.

»Amanda?« Er fragte die Motorräder.

»Ja.«

»Aus?«

Konnte er hellsehen oder stand mir das so ins Gesicht geschrieben?

»Scheiße, ja. Wie kommst du drauf?«

»Giuliano ...« Das klang beinahe vorwurfsvoll. »Brauchst dich doch nur anzusehen.« Also kein Hellsehen.

»Sie hat was mit Schorsch.«

»Dem Kellner vom TwentySeven?«

»Dem Kellner vom TwentySeven. «

»Wie bist du dahintergekommen?«

Ich dachte zurück an die letzten Jahre mit Amanda, die gegen das Ende zunehmende Amplitude zwischen Innigkeit und Wahnsinn - mir auch jetzt noch unerklärlich - und an den ähnlichen Verlauf der Beziehungen davor. Und dann zum krönenden Abschluss nun diese Demütigung im TwentySeven.
Ich seufzte und wiederholte kaum hörbar seine Frage: »Ja, wie komm ich drauf ... war mit ihr bei einem kleinen Konzert dort, du weißt ja, wie immer nett, fast familiär. Sie hat gefragt, ob ich mitkomme. Ich dachte, vielleicht gibt’s noch mal eine Kehrtwende.«

Er lächelte dünn. Im Prinzip hatten wir die ganze Zeit mit den Motorrädern drüben geredet. Jetzt wendete er sich mir zu. »Und? Wie kommst du ... zu dieser Annahme? Schorsch, meine ich?«

»Siebter Sinn.« Ich machte mit meiner Linken schraubende Wedelbewegungen.

»Ahh ...« Gedehnt war das, gespielte Bewunderung. »Siebter Sinn, so so.«

»Na ja, ich bin ja nicht blöd. Sie hat mich gefragt, ob ich zu dem Konzert mitwollte, hat mich gewundert, gefreut irgendwie. Keine Ahnung, vielleicht war es ja ihre sadistische Ader, was weiß ich. Dort jedenfalls ist bei mir der Groschen bald gefallen; so, wie sie den Typen angehimmelt hat und meinte, es würde mir nicht auffallen. Und er erst. Darf’s noch was sein? Alles okay? Ein Baguette vielleicht?« Bei jeder der Fragen hatte ich die Stimme am Schluss affig hochgezogen, schwieg kurz und schob dann leise knurrend nach: »Arschgeige.«

Wir schwiegen eine Weile.

»Na ja ...« hob ich wieder an, »und dann hab ich ihren Mailaccount gehackt.«

Mike zog die Luft durch die Zähne ein. »Und?«

»Lauter Liebesschmalz-Zeugs. Seit drei Monaten. Vier, fünf, sechs Mails pro Tag. An Spitzengefühlstagen schon auch mal zehn.«

»Krass.«

»Ja.«

Schweigend saßen wir eine Weile nebeneinander, die vogelbezwitscherte Stille einmal durch einen asthmatischen Kleinlastwagen unterbrochen, ewig lange durch sein angestrengtes Brummen angekündigt, bevor er drüben hinter der Kapelle vorbeizog und entspannt durchzuatmen schien, als er sich im nächsthöheren Gang weiterschieben durfte. Ich stand auf und ging die paar Schritte zu dem spitzgiebeligen Einzimmer-Häuschen hinüber. Ein Glasfenster, dahinter ein Heiligenbild, angetrocknete Blumen davor. Nicht ergreifend. Ich schlenderte zurück und fragte mich dabei, wer die Blumen wechseln mochte. Jemand aus dem kleinen Ort unten, am Fuß des Berges? Es musste wohl so sein. Aber welche Motivation mochte dahinter stehen?

Amanda. Sie war jetzt die fünfte Frau in Serie, die mich hinterging. Zehn Jahre, nein, zwölf Jahre immer das Gleiche: Kennenlernen, verlieben, es wurde näher und inniger und dann geschah immer irgendetwas. Es kam ganz leise, schlich sich durch die Hintertür und irgendwann fühlte ich, dass wir in unserem Beziehungshaus nicht mehr allein waren. Irgendjemand hatte klammheimlich Platz genommen. Zuerst nur auf dem Korb im Flur. Dann auf dem Küchenstuhl, dem Sofa und schließlich fühlte ich ihn im Bett, wie er sich zwischen uns selbstgefällig rekelte. Ich wusste es nie, ich spürte es einfach. Und irgendwann kam es dann immer heraus, dass ich richtig gespürt hatte.

Ich setzte mich wieder zu Mike. Kurz bevor ich mich niederließ, schob sich eine Prise dieses widerlich-süßlichen Geruchs in meine Nase und dann sah ich, wie Mike die rote Dose mit dem Energy-Drink in der Hand kreisen ließ. Immer noch blickte er zu den Motorrädern.

»Kennst du Odysseus?«, fragte er herüber.

»Den Sohn des Laërtes und Helden von Troja? Na ja, den kennt wohl jeder, oder?«

»Den meine ich nicht, sondern den, der bei uns lebt.«

»Odysseus ...?« Ich kramte in meinen Gehirnschubladen, aber in keiner war Odysseus. »Nein.«

»Ein komischer Kauz. Uralt, lebt in einem kleinen Haus mitten in der Pampa.«

»Pampa - bei uns?«

»Ja, von dir aus vielleicht ... fünfzehn Minuten.«

»Und dazu sagst du Pampa? Sag mal ...«

»Ja, Pampa. Von dort aus siehst du nichts als Wiese und Wald, so weit das Auge reicht.« Nach einer Pause, eben bevor ich etwas entgegnen wollte, fügte er hinzu: »Weit reicht es dort allerdings nicht.«

»Das Auge?«

»Das Auge.«

»Du machst mich neugierig.«

»Zurecht.«

»Spann mich nicht so auf die Folter!« Nervös wippte ich mit meinem Fuß.

Mike grinste. »Okay ...«, setzte er gedehnt sein Spiel fort, »also ...« Und dann nahm er erst einmal einen Schluck aus seiner bestialisch stinkenden roten Dose, riss mit den Zähnen ein Stück Landjäger ab, rupfte ein weiteres Loch in den Weißbrotlaib und begann ausgiebig zu kauen. Seine Backenmuskeln tanzten vor und zurück. Landjägertango, dachte ich und grinste knapp, das erste Mal seit einer Woche. Irgendwann schluckte er dann. »Gibt’s eigentlich nicht viel zu sagen. Soll ein alter Knabe sein, irgendwie seltsam, irgendwie auch wieder nicht. Es heißt, er wäre ein Guru. Aber wer weiß ...« Damit machte er einen schmalen Mund und wiegte kaum merklich den Kopf.

»Wie kommst du denn auf den jetzt?«

»Mir scheint, du könntest so wen brauchen.«

»Aha. Und warum das?« Ich sah ihn von der Seite her an.

»Schau«, und nun wandte er sich mir zu, »mit Amanda hast du jetzt das fünfte Mal denselben Scheiß erlebt. In Serie. Stimmt’s?«

»Du hast mitgezählt?«

»Schwere Krankheiten sind einprägsam.« Landjäger, Weißbrot, kauen. »Denkst du, fünfmal dasselbe Spiel - einfach so, per Zufall?«

Ich runzelte die Stirn.

»Ja, meinst du, das passiert einfach so aus Jux?«, legte er nach, ungeduldig.

»Na ja ...«, sagte ich. »Pech gehabt?«

»So ein Blödsinn!« Er lachte auf und schüttelte den Kopf. »Das glaubst du doch gerade selber nicht, oder?«

Als mein bester Freund wusste Mike natürlich auch über meine weltanschauliche Sicht Bescheid. Wir hatten schließlich bei allen möglichen Gelegenheiten stundenlang diskutiert, bei mir zu Hause oder an einem Lagerfeuer in Griechenland, die Motorräder neben dem Zelt. Er wusste, ich befand mich auf der Suche nach einem tieferen Sinn, wusste aber ebenso, dass ich davon meilenweit entfernt war. Ich hatte Bücher gelesen und Seminare besucht, bei denen es um Spiritualität ging, um Selbsterfahrung, aber es war mir alles zu verwirrend gewesen. Manches stimmte überein, manches widersprach sich, jedenfalls konnte ich keinen roten Faden finden. Und ein wenig, das musste ich zugeben, hatte ich die Seminare auch besucht, weil ich dort interessante Frauen treffen konnte. Bei solchen Events traf man fast nur Frauen. Amanda war eine davon gewesen.

Er stand auf und knüllte die Dose in der Hand zu einem kleinen Stück Aluminiumschrott zusammen. Es wunderte mich nicht, dass der letzte, süßliche Energy-Atemzug mit der sie ihr zylindrisches Dasein aushauchte, genau in meine Nase wehte.

Monate später erst sollte diese nebensächliche Szene wieder in meiner Erinnerung auftauchen und mit einem süffisanten Lächeln ihre Symbolik in vollem Spektrum vor mir ausbreiten. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, was nun aus meinem monoton dahinfließenden Leben ohne gröbere Highlights - außer den jeweiligen Beziehungsende-Schrecken - werden sollte, es wäre kaum viel von der Gelassenheit übrig geblieben, mit der ich mich nun mit Mike auf den Rückweg machte.

 

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