Beitrag - Ihrer, deiner, meiner ...

»Ich kann halt nichts ändern daran, wie es ist. Da muss sich das System ändern. Oder die Wirtschaft umdenken oder die Politiker von weniger verlogenen abgelöst werden«, sagt Alex. »Ich muss nach Hause. Meine Frau ist heute beim Elternsprechtag - ach, dieses beschissene Schulsystem.« Seufzend dreht er sich um, wartet, bis ihn der Kellner auf seinem Radar hat und winkt ihm, um zu bezahlen.

»Du steckst in einer Illusion fest«, sagt Isabel und legt ihre Hand auf seinen Unterarm.

Er runzelt die Stirn. »Du verarscht mich ...?«

»Nein, tu ich nicht.« Ein feines Lächeln gleitet über ihre Züge. »Was glaubst du, waren zuerst die Atome und die Quarks da oder die Erde?«

Die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertieft sich. »Hä?«

»Sag schon, was war zuerst?«

Er schüttelt den Kopf »Na, die Atome natürlich. Aus ihnen ist die Erde doch erst entstanden. Später dann.«

Isabel blickt ihn unverändert lächelnd an und sagt kein Wort.

Nach ein paar Sekunden hebt er zuckend die Schulter und zieht die Brauen hoch. »Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«

»Alles, Alex, alles.«

»Wie alles?« Unruhig rutscht er auf seinem Stuhl hin und her, beginnt mit den Beinen zu wippen.

»Alles hängt zusammen, du kannst nichts herausschneiden und gesondert betrachten. Mit der Gesellschaft geht es genauso. Alles entwickelt sich aus den einzelnen Menschen heraus. Aus dir und aus mir.«

Alex stützt die Ellbogen auf dem Tisch auf, beugt sich zu ihr.

»Sie wollten zahlen?«

»Lass mich mal«, sagt Isabel, klimpert mit ihren Wimpern zu dem jungen Mann hinauf. Auf der Stelle wendet er sich ihr zu, wird ein wenig rot, sieht Alex zweifelnd an. Aber Isabel gewinnt. Überschwänglich bedankend tritt der Kellner nach hinten ab.

»Du hast ihm ein viel zu hohes Trinkgeld gegeben«, sagt Alex.

»Ich weiß.«

Er runzelt  die Stirn.

»Du erinnerst dich an gerade eben? Alles entwickelt sich aus dem einzelnen Menschen heraus?«

Er nickt.

»Schau mal zu dem Kellner hinüber. Fällt dir an ihm etwas auf?«

Alex dreht den Kopf, beobachtet ihn. »Hm ... kommt mir etwas flotter vor.«

»Genau, mein Lieber. Jetzt stell dir mal vor, was geschehen würde, wenn er seinen Gästen gegenüber ein wenig fröhlicher wäre. Und manche dieser Gäste von diesem Glückshauch etwas mit sich nähmen. Und die, die dann ...«

»Hör auf, ich hab schon kapiert, was du meinst. Aber was willst du mir damit sagen?«

»Dieser«, sagt sie, betont das Wort durch eine Kunstpause, »ist der Weg, wie sich alles ändert - immerzu. Du und ich und alle beeinflussen unsere Umgebung. Politik und Wirtschaft machen nur das, was wir sie machen lassen. Machen lassen bedeutet genauso, etwas zu wünschen, wie konkretes Handeln. Handelst du konkret, kannst du teilhaben an deinem Umfeld. handelst du nicht, sondern grummelst nur, wirst du gelebt und andere entscheiden über dich hinweg.«

»Mag schon sein. Aber ich bin nun halt mal kein Politiker.«

»Darum geht es ja gar nicht, Alex. Politik und Wirtschaft sind wie ein Garten ...«

»Schöner Garten ...« Er blickt finster.

»... in dem wächst, was wir säen. Er entwickelt sich, wie wir ihn pflegen.«

Sie schweigen. Der Kellner schleicht sich an. »Darf's noch was sein?«

Beide zerstören seine Hoffnung mit synchronem Kopfschütteln.

»Garten, Garten ...«, wiederholt Alex wie ein Mantra.

»Denk doch einfach einmal zu Ende, Alex. Wenn jeder von uns seine eigene Ethik sucht und entwickelt, findet, was zu ihm passt, dann wird er glücklich werden. Erinnerst du dich, als wir damals in der U-Bahn gelacht haben? So richtig gelacht und uns nicht gleich verschämt umgesehen und aufgehört haben, weil es uns einfach egal war?«

Alex schmunzelt. »Allerdings!«

Beide stehen auf und treten auf die Straße. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und pappt ihm einen Kuss auf die Wange. »So geht's, vertrau mir. Du schlägst Wellen. Egal, was du tust. Probieren wir es aus und berichten einander beim nächsten Mal?«

Er grinst. »Na gut, von mir aus.«

»Ich freue mich. Und grüße Nathalie von mir und die Kids auch.«

 

Lass dein Licht leuchten und du erhellst deine Umgebung.
Lass es verlöschen und du wirst nicht wahrgenommen.